Wie einst Albert Schweitzer 7873 km auf dem Landweg entfernt liegt Monrovia, Hauptstadt von Liberia. Dorthin reiste Hautärztin Regina Lüers mit Ihrer Tochter der Krankenschwester Jasmin Lüers. Beide engagieren sich in unserer Gemeinde. Jasmin in der Gemeindevertretung als Jugendvertreterin, Regina als Gemeindevertreterin und auch als Kuratorin der Tabeastiftung. Christlicher Glaube bedeutet für sie, den Menschen zu dienen. Schon während der großen Ebola-Epidemie setzte sich Familie Lüers intensiv für Liberia ein, organisierte medizinische Hilfsgüter im Gegenwert von tausenden von Euro. Jetzt hat sie sich ein eigenes Versprechen eingelöst, nach Liberia zu fahren, um den Menschen im Busch zu helfen.
Das folgende Interview mit Regina und Jasmin Lüers führte Pastor Klingler, der im übrigen Dieter und Regina Lüers vor 24 Jahren in Oberneuland getraut hat.
Regina und Jasmin, ich bewundere Euch für Euer großartiges Engagement in Liberia. Warum setzt Du Dich, Regina, für Liberia ein?
Es begann vor knapp 10 Jahren, dass ich mich für Liberia engagierte. Den Anstoß gab der Englischlehrer von Jasmin, Michael Jentzsch, der in Liberia als Missionarssohn aufgewachsen war. Sein bester Jugendfreund vor Ort war der liberianische Junge Ben. Als der Bürgerkrieg begann, mussten er und seine Familie das Land fluchtartig verlassen. Sein Freund Ben wurde gezwungen Kindersoldat zu werden. Erst als Erwachsene sahen sie sich wieder. Über diese aufregende und schwere Zeit schrieben sie ein Buch mit dem Titel „Blutsbrüder“. Wir haben Ben und seinen elfjährigen Sohn Eleazer 2010 kennen gelernt. Eleazer musste in Bremen wegen einer Kriegsverletzung operiert werden. Wir übernahmen in den folgenden Jahren das Schulgeld für ihn.
Regina Lüers
Ihr seid also mit dem Flugzeug bis nach Monrovia geflogen. Ich habe gerade mal geschaut, man fliegt gut und gerne zwölf Stunden von Hamburg aus. Monrovia ist die Hauptstadt dieses vier Millionen Einwohner zählenden Landes an der Westküste, also an der Atlantikküste Afrikas gelegen. Was war Euer erster Eindruck als Ihr liberianischen Boden betreten habt?
Uns kam ein Schwall heißer, feuchter Luft entgegen, die einem fast die Luft zum Atmen nahm.
Regina Lüers
Es war dunkel und wir sahen das kleine Flughafengebäude vor uns. Da mussten wir jetzt durch und ich war sehr unsicher, ob wir abgeholt werden würden.
Jasmin Lüers
Wir wussten nur, dass es mit viel Bakschisch durch den Zoll ging. So kamen wir schnell mit vier Koffern und unserem Handgepäck durch die Abfertigung.
Da erwartete uns Thomas Bohner, der Vorsitzende des Vereins „Help Liberia -Kpon Ma“. Von dort ging es ca. eine Stunde per Auto auf afrikanischen Teer-, Lehm- und Sandwegen weiter, wobei diese Straße noch recht gut war. Wir übernachteten bei einem Verwandten von Thomas. Am nächsten Tag ging die Fahrt weiter nach „Bong mine“, einer Stadt mit ca. 800 Einwohnern. Man versucht immer soviel wie möglich auf einer Autofahrt zu erledigen, um Benzin einzusparen. Also machten wir einen Abstecher in die Herbalclinic von Ben Zahn, dem Freund von Michael Jentzsch. Unterwegs bekamen wir schon einen ersten Eindruck von den typischen afrikanischen Hütten und Häusern aus Lehm mit Palmendächern und wer vermutlich etwas reicher war hatte Wellblechdächer. In der „Herbalclinic“ trafen wir auch Ben wieder, der dort mit einem Freund das Geschäft „Kräuterklinik“ aufbaut. Finanziert wird dies aus den Buchtantiemen des Buches „Blutsbrüder“ und Geld von seinem deutschen Freund.
Regina Lüers
Der Großteil der Straße von Monrovia nach Bong Mines ist geteert und in einem guten Zustand. Nur die paar letzten Kilometer nach Bong Mines waren eine Schotterstraße. Am Haus der Familie angekommen, kamen uns gleich die Kinder entgegen und haben uns begrüßt.
Jasmin Lüers
Wie wart ihr ausgerüstet? Hattet Ihr medizinisches Gerät dabei, die notwendigsten Medikamente im Gepäck? Wie habt Ihr Euch überhaupt auf diese Herausforderung vorbereitet?
Wir sind mit vier Koffern nach Liberia gereist und mit einem Koffer zurück gefahren. Wir hatten einiges an medizinischen Materialien mit. Ich hatte mehrere Blutdruckmessgeräte und Stethoskope gekauft, Dynamotaschenlampen, diverses Verbandsmaterial und das nötige Zubehör. Weiter Handschuhe, Taschenlampen, Power Bank und vieles mehr. In so einem Land, es ist das zweitärmste in Afrika, muss man improvisieren und schauen, was es vor Ort gibt. Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn jemand zu trockene Haut hat, juckte es. In Deutschland geht man dann in den nächsten Drogeriemarkt und kauft eine entsprechende Pflegecreme. In Afrika? Drogeriemarkt? Fehlanzeige. Außerdem hat man kein Geld für Medikamente, wenn der Magen knurrt. Also schauten wir, was es vor Ort gab. Palmöl oder auch Butterpear (Avocado) und erklärten, warum man dieses benutzen soll. Die Verständigung ist nicht leicht. Das liberianische Englisch ist gewöhnungsbedürftig. Endsilben werden fast immer weg gelassen – ganze Worte auch – zusätzlich gibt es noch die Country Sprache „Pelle“.
Regina Lüers
Ganz wichtig waren auch die Moskitonetze, da in einem tropischen Land wie Liberia die Malaria allgegenwärtig ist. Das weitere persönliche Gepäck war eher minimalistisch gehalten, weil man in so einem Land auch nicht viel benötigt. Wichtig sind gute Schuhe und lockere, luftige Kleidung, die wir zwischendurch einfach per Hand gewaschen haben.
Jasmin Lüers
War es wertvoll für Dich, Regina, mit Euerer Tochter gemeinsam fahren zu können, die als ausgebildete Krankenschwester vermutlich sehr gute Dienste leisten konnte?
Es war sehr schön mit Jasmin zu reisen – aus mehreren Gründen. Weil wir die Gelegenheit hatten, dieses Abenteuer zu zweit zu erleben. Des Weiteren finde ich es gut, dass sie den Arztberuf aus dieser Warte kennen lernt, insbesondere vor dem Beginn ihres Medizinstudiums. Da Jasmin die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege abgeschlossen hat, konnte sie auch gut helfen und vergleichen was in Liberia in diesem Beruf gelehrt wird. Das Lehrmaterial stammt aus den USA.
Regina Lüers
Und wie hast du das erlebt mit der Mutter zusammen?
Ich fand es auch sehr schön, mit meiner Mutter gemeinsam diese Reise anzutreten. Wir konnten uns gegenseitig unterstützen und aufeinander aufpassen. Auch wenn wir uns sicher gefühlt haben.
Jasmin Lüers
Bei Afrika muss ich immer unwillkürlich an Albert Schweitzer denken, der ja im Urwald Afrikas in Lambarene ein Krankenhaus aufgebaut hatte. Ist Albert Schweitzer ein Vorbild für Dich, Regina?
Darüber habe ich mir noch nicht wirklich Gedanken gemacht. Vielleicht indirekt. Ich hatte schon während meines Studiums den Wunsch, irgendwann in die 3. Welt zu gehen, um dort zu helfen. Ich wollte jetzt aber nicht warten bis ich im Rentenalter bin, sondern jetzt war der richtige Zeitpunkt auch organisatorisch innerhalb der Familie.
Regina Lüers
Wie dürfen wir uns die Lebensverhältnisse im Busch genau vorstellen und wie wart ihr untergebracht. Welche hygienischen Verhältnisse habt ihr vorgefunden?
Es gibt kein fließendes Wasser, kein Strom und keine Kanalisation und natürlich keine Klimaanlage. Wir Zwei hatten ein Zimmer ca. 10 Quadratmeter groß mit zwei Schaumgummimatratzen, die auf dem Fußboden lagen und zwei Gartenstühlen. Das Wasser zum Duschen und für die Toilette wird in eine große Tonne gefüllt und mit Chlor versetzt (zumindest für uns Ausländer), da entnimmt man dann das Wasser mittels einer Schüssel und füllt es in einem Eimer zum Waschen/ Duschen. Trinkwasser ist abgepackt. Offiziell immer 500 ml, in der Realität 350 ml. Geschmacklich mit deutschen Brausetabletten gut trinkbar. Es ist staubig, kaum hat man geduscht, ist man schon wieder verschwitzt bei 35 Grad gefühlt 42 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 55-90 Prozent.
Regina Lüers
Da es keine Kanalisation gibt, versickern die Abwässer in einer Sickergrube unter dem Haus. Damit die Rohre nicht verstopfen, wird das Toilettenpapier in einem Eimer neben der Toilette gesammelt, um dann verbrannt zu werden. Unsere Stromversorgung bestand aus einer LKW-Batterie, für die wichtigen elektronischen Geräte. Da man zum Beispiel das Handy kaum benötigt, ist es die meiste Zeit ausgeschaltet und benötigt so kaum Strom. Und für abends, wenn es dunkel wird, hatten wir Taschenlampen.
Jasmin Lüers
Morgens, in aller Früh habt ihr dann Sprechstunde abgehalten zusammen mit dortigen Ärzten und was waren die Hauptprobleme der dort lebenden Menschen.
Es gibt zwei Buschkliniken, die waren gut eineinhalb Fahrtstunden von unserem Wohnort entfernt. Dort gibt es je eine Sprechstunde, ein Mal wöchentlich. Mehr ist aus finanziellen Gründen durch den Verein Help Liberia nicht möglich. (Die Monatskosten für Medizin betragen ca. 1000 US Dollar) Des Weiteren bekommen die Krankenpfleger (Screener) eine Kompensation von 10-20 US Dollar plus Transportkosten, da sie an diesem Tag auf ihrer Farm nicht arbeiten können. Ärzte gibt es dort nicht! Die Haupterkrankungen sind: Fieber, Malaria, Wurmerkrankungen durch das unsaubere Wasser, Pilzinfektionen, Krätze, Schwäche allgemein; Unterernährung. Frauen haben ein Durchschnittsgewicht von knapp 40 kg, eher weniger und haben im Durchschnitt 5-8 Kinder. Es gibt auch Verletzungen bei der Feldarbeit durch Macheten. Die Patienten warten mehrere Stunden geduldig, bis sie an der Reihe sind. Wegzeiten von zwei bis vier Stunden sind der normal, da es keinen weiteren Kliniken gibt und dann kommt ja noch der Rückweg dazu. Es gab den „Buschfunk“, dass eine deutsche Ärztin vor Ort ist. Wenn wir nicht in den Buschkliniken waren, hat der „Buschfunk“ trotzdem funktioniert und die Patienten kamen zu unserem Wohnhaus. Zum Teil vier Stunden zu Fuß und mit Baby auf dem Rücken, um behandelt zu werden.
Regina Lüers
Wir haben zweimal die beiden Krankenpfleger der Clinicen in unser Haus zu einer Schulung eingeladen. Zum einen haben die uns erzählen können, welche Erkrankungen hauptsächlich vorkommen, aber auch welche speziellen Fälle sie in letzter Zeit hatten. Anschließend konnten wir helfen, indem wir ihr medizinisches Wissen erweiterten.
Jasmin Lüers
Wie haben die schwarzen Patienten auf die weiße Hautärztin und die weiße Krankenschwester reagiert?
Positiv ohne Scheu. Für die Kinder, die zum Teil das erste Mal eine Weiße sahen, gab es einige wenige, die scheu waren, die meisten wollten natürlich die „Weiße“ anfassen. Im Allgemeinen wird man als Chinese = weiß bezeichnet, da sich in den letzten Jahren dort die Chinesen breit gemacht haben, um Eisenerz abzubauen. Jetzt ist der Stahlpreis im Keller und es erfolgt kein weiterer Eisenerzabbau. Insofern kennt die Bevölkerung nur diese „Weißen“.
Regina Lüers
Auch die Erwachsenen sind neugierig und gucken einen an. Gerade in der Stadt ist es mir aufgefallen, dass die Liberianer einen angucken, aber dann nicht nach vorne gucken. Dann kann es schonmal sein, dass die stolpern oder mit dem Motorrad, in einem langsamen Tempo, ein wenig in das davorstehende Motorrad fahren. Es hat sich aber nie jemand verletzt. In dem einen Dorf wollte mich sogar der Bürgermeister heiraten, und das obwohl seine Ehefrau daneben stand.
Jasmin Lüers
Ebola gibt es nicht mehr in Liberia – aber ist es für uns Europäer gesundheitlich nicht schwierig, in den afrikanischen Busch zu gehen?
Wenn man gesund ist nicht. Die Wärme und Luftfeuchtigkeit schlauchen allerdings ordentlich. An sehr heißen Tagen konnten wir uns nur zurückziehen und arbeiten war nicht möglich. Wir hatten genügend Salztabletten mit, das hat gut geholfen, weiter natürlich Malariaprophylaxe und die entsprechenden Impfungen hatten wir vorab durchgeführt. Was am meisten Probleme bereitet hat, war die Atemluft. Dort wird immer über offenem Feuer Essen gekocht und es wird alles verbrannt, was brennbar ist, auch Hausmüll und Kunststoffe. Dementsprechend war die Luft nicht nur heiß, sondern auch verräuchert. Jetzt weiß ich wie frisch die Luft in Bremen ist. Als ich aus dem Flugzeug kam, nahm ich erst einmal einen tiefen Atemzug norddeutscher Frischluft in mir auf.
Regina Lüers
Man muss sich halt auch an die typische Regel halten: Nur sauberes Wasser trinken, selbst beim Zähne putzen nur solches Wasser benutzen. Obst und Gemüse entweder schälen oder kochen.
Jasmin Lüers
Regina und Jasmin, wir sind wirklich stolz, euch in unserer Gemeinde zu haben. Gemessen an dem Leben in Liberia haben viele von uns wohl doch eher Luxusprobleme. Was sind Eure Wünsche an unsere Kirchengemeinde und an die Leserinnen und Leser des Gemeindespiegels?
Man sollte sich manchmal persönlich nicht zu wichtig nehmen. Gelassenheit üben und sich öfter vor Augen halten, wie gut es einem geht. Ansonsten hilft sehr: Übernahme von Schul- und Ausbildungspatenschaften (z.B. Krankenpflege oder Geld für Medikamente) für die Kinder.
Ach ja, bevor ich es vergesse, auch den Afrikanern hat die Klinikleitung erst einmal erklärt, dass die deutsche Ärztin ihren privaten Urlaub für diesen Aufenthalt hergab und sie alles privat aus eigener Tasche bezahlt hat.
Regina Lüers
Ich bin nach dieser Reise dankbarer für das, was ich habe und mit welchen Vorteilen und Sicherheiten ich leben kann. Ich denke an die kostenlose Schulbildung und auch die uns selbstverständliche Krankenversicherung. Wir haben in Deutschland einen sehr guten Lebensstandard und sollten uns über das freuen, was wir haben und nicht verschwenderisch mit den Sachen umgehen. Und ein wenig von der afrikanischen Gelassenheit habe ich mir auch mitgenommen.
Jasmin Lüers
Ich danke Euch sehr herzlich und wünsche Euch, dass auch die letzten Nebenwirkungen der Malariaimpfung bald verflogen sein mögen.
Jasmin Lüers
Reporter: MK Michael Klingler, Pastor i.R. Bremen Oberneuland.